25. Mai 2018

EU schlägt technische Maßnahmen zum EU-Mehrwertsteuersystem vor

Faire Besteuerung: Kommission schlägt endgültige technische Maßnahmen zur Schaffung eines betrugssicheren EU-Mehrwertsteuersystems vor.

Brüssel, 25. Mai 2018

Die Kommission hat heute die detaillierten technischen Änderungen an den EU-Vorschriften über die Mehrwertsteuer (MwSt.) vorgeschlagen, die unseren jüngsten Vorschlag zur Überarbeitung des Systems, um es betrugssicherer zu machen, ergänzen.

Das Maßnahmenpaket ändert die Mehrwertsteuervorschriften erheblich und soll Unternehmen in der gesamten EU das Leben erleichtern. Es setzt einer 25 Jahre andauernden „vorläufigen“ Mehrwertsteuerregelung am Binnenmarkt ein Ende. Im Oktober letzten Jahres schlug die Kommission die wichtigsten Grundsätze für die Schaffung eines einheitlichen EU-Mehrwertsteuerraums vor, der dabei helfen soll, den Betrug, der die nationalen Haushalte der EU-Mitgliedstaaten derzeit schätzungsweise 50 Mrd. EUR jährlich kostet, zu bekämpfen. Die Kommission hofft, dass diese technischen Maßnahmen einen Anstoß zu Diskussionen in den Mitgliedstaaten über die allgemeinen Grundsätze oder „Eckpfeiler“ eines einfacheren und belastbaren endgültigen EU-Mehrwertsteuersystems für den Warenhandel innerhalb der EU geben werden.

Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, erklärte dazu:
„Die Vorschläge, die wir heute vorstellen, sind die letzten Bausteine für die Überarbeitung des EU-Mehrwertsteuersystems. Sie werden dank der elektronischen zentralen Anlaufstelle für Anbieter die Voraussetzungen für einfachere Vorschriften, weniger Bürokratie und ein benutzerfreundlicheres System schaffen. Es ist an der Zeit, dass unsere Mitgliedstaaten einander vertrauen, wenn es um die Erhebung der Mehrwertsteuer auf EU-interne Umsätze geht. Wir schätzen, dass unser Vorschlag die 50 Milliarden EUR, die jedes Jahr durch grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug verloren gehen, um 80 % reduzieren könnte. Ich hoffe, die Mitgliedstaaten ergreifen nun die Gelegenheit, ein qualitatives Mehrwertsteuersystem für die EU einzuführen.“

Hauptelemente des Vorschlags

Die Inbetriebnahme der Eckpfeiler des endgültigen Mehrwertsteuersystems macht wichtige Änderungen der Mehrwertsteuerrichtlinie notwendig. Von 408 Artikeln der aktuellen Mehrwertsteuerrichtlinie müssen rund 200 angepasst werden, um die folgenden Vorteile für Unternehmen und nationale Haushalte zu bringen:

Vereinfachung der Besteuerung von Waren:
Im derzeitigen Mehrwertsteuersystem wird der Warenhandel in zwei Transaktionen unterteilt: einen von der Mehrwertsteuer befreiten Verkauf im Ursprungsmitgliedstaat und einen besteuerten Kauf im Bestimmungsmitgliedstaat. Der heutige Vorschlag beendet diese künstliche Aufspaltung einer einzigen Transaktion. Nach seiner Annahme werden die in den Mehrwertsteuervorschriften enthaltenen Änderungen den grenzüberschreitenden Warenhandel als „einheitliche steuerpflichtige Lieferung“ definieren. Damit wird sichergestellt, dass Waren in dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem die Beförderung der Waren endet – genau so, wie es sein sollte. Mehrwertsteuerbetrug sollte dadurch drastisch eingedämmt werden.

Ein zentrales Online-Portal („One-Stop-Shop“) für Händler:
Damit die Änderung der Mehrwertsteuervorschriften für Unternehmen so reibungslos wie möglich verläuft, sollen mit den heute vorgelegten Modifikationen die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Online-Portals für alle Business-to-Business-Händler der EU zur Abführung ihrer Mehrwertsteuer geschaffen werden. Dies wurde in den Reformvorschlägen der Kommission im Oktober 2017 angekündigt. Das System wird auch für Unternehmen außerhalb der EU, die an Unternehmen innerhalb der Union verkaufen und sich andernfalls in jedem Mitgliedstaat für die Mehrwertsteuer registrieren müssten, zugänglich sein. Sobald das System eingeführt worden ist, müssen diese Unternehmen lediglich einen Intermediär in der EU benennen, der sich für sie um die Mehrwertsteuer kümmert.

Weniger Bürokratie:
Die Änderungen starten die Selbstkontrolle des Mehrwertsteuersystems neu und verringern die Anzahl der administrativen Schritte, die Unternehmen durchlaufen müssen, wenn sie an Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten verkaufen wollen. Bestimmte Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuerübergangsregelung werden für den Warenhandel nicht mehr nötig sein. Die Rechnungsstellung im EU-weiten Handel wird den Gesetzen des Mitgliedstaats des Verkäufers unterliegen, was eine Erleichterung für Anbieter sein sollte.

Verkäufer ist zuständig für die Mehrwertsteuererhebung:
In der heutigen Ankündigung wird klargestellt, dass der Verkäufer die entsprechende Mehrwertsteuer erheben sollte. Beim Verkauf von Waren an Kunden in einem anderen EU-Land entspricht diese dem Steuersatz des Bestimmungsmitgliedstaates. Nur wenn es sich bei dem Kunden um einen zertifizierten Steuerpflichtigen (d. h. um einen von der Steuerverwaltung als zuverlässig angesehenen Steuerzahler) handelt, ist der Erwerber der Waren mehrwertsteuerpflichtig.

Hintergrund:
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist für den EU-Binnenmarkt sehr wichtig. Die Mehrwertsteuer hat die Umsatzsteuern ersetzt, die den Wettbewerb verfälscht und den freien Warenverkehr behindert haben. Das System wurde später geändert, um Kontrollen und Formalitäten beim Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten abzuschaffen. Die Mehrwertsteuer ist eine bedeutende und wachsende Quelle öffentlicher Einnahmen in der EU, die sich 2015 auf über 1 Billion EUR belief, was 7 % des BIP der EU entspricht. Darüber hinaus stellt die Mehrwertsteuer eine Eigenmittelquelle der EU dar. Als Verbrauchsteuer ist sie eine der wachstumsfreundlichsten Formen der Besteuerung.

Die Kommission hat stets auf eine Reform des Mehrwertsteuersystems gedrängt. 2016 verkündete die Kommission in ihrem Mehrwertsteuer-Aktionsplan ihre Absicht, ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für die EU einzuführen. Seitdem wurden Fortschritte mit den neuen Bestimmungen zur Mehrwertsteuer auf Online-Käufe erzielt und die Kommission hat bereits ihre Vorschläge zu wichtigen Grundsätzen des zukünftigen EU-Mehrwertsteuerraums und zu einer großen Reform darüber, wie Mehrwertsteuersätze in den EU-Mitgliedstaaten festgelegt werden, eingereicht. Der heutige Vorschlag schließt an diese vorausgehenden Schritte an. Wir haben der Auffassung des Europäischen Parlaments und des Rates Rechnung getragen, dass jedes künftige Mehrwertsteuersystem auf der Besteuerung im Bestimmungsland (dem Land, in dem die Waren oder Dienstleistungen konsumiert werden) basieren sollte.

Ausführung der Kommission zu den Gründe und Zielen

Dieser Vorschlag ist Teil eines Legislativpakets zur Einführung eines endgültigen Mehrwertsteuersystems für den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der Union, das auf dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat der Gegenstände beruht, um einen robusten, einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum zu schaffen. Ein Legislativvorschlag für ein solches einfacheres und weniger betrugsanfälliges endgültiges Mehrwertsteuersystem für den EU-internen Handel wurde ins Arbeitsprogramm der Kommission für 2017 aufgenommen. Diese Vorschläge für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der Union umfassen auch Verbesserungen des derzeitigen Mehrwertsteuersystems, die von den Mitgliedstaaten gefordert wurden.

Sowohl im Rahmen des endgültigen Mehrwertsteuersystems als auch für einige der oben genannten Verbesserungen des derzeitigen Systems sollten Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen den Status eines zertifizierten Steuerpflichtigen erhalten können. Der Begriff des zertifizierten Steuerpflichtigen sollte es ermöglichen, zu bescheinigen, dass ein bestimmtes Unternehmen insgesamt als zuverlässiger Steuerzahler gilt. Bestimmte Vereinfachungsvorschriften zu betrugsanfälligen Sachverhalten wie Konsignationslagern, Reihengeschäften und dem Nachweis der Beförderung oder des Versands von Gegenständen in einen anderen Mitgliedstaat sollten nur dann gelten, wenn zertifizierte Steuerpflichtige an der jeweiligen Transaktion beteiligt sind. Das Konzept des zertifizierten Steuerpflichtigen sollte zudem die schrittweise Umsetzung des endgültigen Mehrwertsteuersystems ermöglichen, da in der ersten Stufe der Umstellung die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft gelten würde, wenn bei Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union der Erwerber ein zertifizierter Steuerpflichtiger ist. Die Begründung hierfür lautet, dass es nicht zu einem Betrug aufgrund nicht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer für Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union für einen zertifizierten Steuerpflichtigen kommen dürfte, da der zertifizierte Steuerpflichtige definitionsgemäß zuverlässig ist.

In diesem Zusammenhang müssen Unternehmen und Steuerbehörden den Status eines Unternehmens als zertifizierter Steuerpflichtiger unmittelbar im Internet prüfen können. Dazu ist es notwendig, dass alle Mitgliedstaaten Informationen über Unternehmen und ihren Status als zertifizierte Steuerpflichtige in einem elektronischen System speichern und dass die zuständigen Behörden eines jeden Mitgliedstaats dafür sorgen, dass dieser Status für jedes betreffende Unternehmen bestätigt wird. Diese Verpflichtungen der Mitgliedstaaten sind in den Rechtsvorschriften über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden festzulegen, d.h. in der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (im Folgenden „Verordnung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer“).

Kohärenz mit den bestehenden Vorschriften in diesem Bereich

Der Vorschlag soll dem Status des zertifizierten Steuerpflichtigen praktische Wirkung verleihen, der ein wichtiger Bestandteil des endgültigen Mehrwertsteuersystems für den Handel innerhalb der Union ist. Dieses System soll auf dem Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat der Gegenstände beruhen, wie es im Mehrwertsteuer – Aktionsplan angekündigt wurde. Der Status des zertifizierten Steuerpflichtigen ist auch im Zusammenhang mit einigen von den Mitgliedstaaten geforderten Verbesserungen des derzeitigen Systems von Bedeutung, insbesondere in Bezug auf die Vorschriften für Reihengeschäfte, Konsignationslager und den Nachweis der Beförderung bei steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferungen von Gegenständen.

Kohärenz mit der Politik der Union in anderen Bereichen

Die Schaffung eines einfachen, modernen und betrugssicheren Mehrwertsteuersystems ist eine der fiskalpolitischen Prioritäten der Kommission für das Jahr 2017.

Die Bekämpfung des Missing-Trader-Mehrwertsteuerbetrugs ist auch einer der vorrangigen Bereich der Kriminalitätsbekämpfung in der Europäischen Union im Rahmen des EU-Politikzyklus 2014-2017 von Europol. Verwiesen werden kann außerdem auf die Einigung über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO), die unter bestimmten Bedingungen für die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zuständig sein wird.

1. Hoher Umstellungsaufwand droht

Die Implementierung des Qualitätsmerkmals „zertifizierter Steuerpflichtiger“ wird mit einem hohen Umstellungsaufwand für die Betroffenen verbunden sein.

2. Zweiklasseneinteilung von Steuerpflichtigen und Wettbewerbsverzerrung zu befürchten

Die Voraussetzungen, die ein zertifizierter Steuerpflichtiger nachweisen muss, um den Status zu erlangen, sind sehr umfangreich. Kleine Unternehmen würden diese Nachweise deutlich schwerer erbringen können als große Konzernunternehmen, da sie weniger Personalressourcen haben. Kleine Unternehmen, die aufgrund des zu hohen Aufwands auf die Zertifizierung verzichten müssten, könnten darüber hinaus automatisch in Verdacht geraten, weniger zuverlässige Geschäftspartner zu sein. Dies könnte unweigerlich zu einer Benachteiligung, zum Beispiel bei etwaigen Ausschreibungsverfahren, führen.

Die Zweiklasseneinteilung würde zu einer unnötigen Wettbewerbsverzerrung am Markt führen. Diese würde den funktionierenden Binnenmarkt einschränken. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für das Antrags- und Kontrollverfahren unterschiedlich streng auslegen. So kann es zu zusätzlichen Verzerrungen im Wettbewerb kommen.

3. Rechtsstreitigkeiten durch unklare Anforderungen zu erwarten

Auch die Voraussetzungen, die ein Steuerpflichtiger erfüllen muss, um die Zertifizierung zu erhalten, rufen mehr als nur ein Fragezeichen hervor. Sie orientieren sich stark an den Voraussetzungen des Art. 39 Buchst. a bis c des Zollkodex der Europäischen Union (UZK). Dieser regelt die Bewilligung des Status eines sog. zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (ZWB) im Unionszollrecht.

An dieser Stelle weist der DStV darauf hin, dass das Motiv des ZWB rein zollrechtlicher Art ist. Es ist kein Instrument der Einnahmensicherung. Vielmehr dient es der Gefahrenabwehr, also der Sicherheit bei der Bewegung der Ware. Daher erscheint eine so starke Anlehnung an die Vorschriften des UZK für Zwecke der Mehrwertbesteuerung zweifelhaft.

Im Zollrecht wird die Regelung des Art. 39 UZK durch Durchführungsverordnungen ergänzt, die die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale erleichtern. Für Zwecke der Einführung des zertifizierten Steuerpflichtigen im Mehrwertsteuersystem fehlen bislang sämtliche Konkretisierungen. Der DStV fordert hier dringend Abhilfe, falls das Merkmal des zertifizierten Steuerpflichtigen verwirklicht werden soll.

Warum bedarf es solcher Konkretisierungen?